Psychologie: die Bedeutung von Erkenntnissen

Sie haben bestimmt schon einmal den Ausdruck „Sisyphusarbeit“ gehört – eine Aufgabe, die ewig dauert und sinnlos erscheint. Der Ausdruck geht zurück auf eine Figur der griechischen Mythologie, einen korinthischen König, der um ca. 1.400 vor Christus gelebt haben soll. Er war sehr schlau, es war ihm gelungen, mehrfach den Tod zu besiegen und ins Leben zurückzukehren.

Aber sein freches Vorgehen missfiel den Göttern. Deshalb wurde er mit einer schrecklichen Strafe belegt: Er musste fortan einen schweren Felsblock einen hohen Berg hinaufwälzen – aber kurz vor Erreichen des Gipfels rollte dieser Felsblock immer wieder nach unten, so dass Sisyphos also stets von Neuem beginnen musste.

Interessant ist die Interpretationsgeschichte: Zunächst stand die drakonische Bestrafung im Mittelpunkt. Der Block war schwer und die Frustration des ewigen Kreislaufs entsprechend hoch.

Mit dem Franzosen Albert Camus gewann in den 1900er-Jahren eine andere Lesart an Bedeutung: Die Arbeit selbst wurde als sinnstiftend angesehen; also war Sisyphos ein glücklicher (!) Mensch. Mit dem Gipfelkampf erhält dessen Leben gewissermaßen ein Ziel, ähnlich einem Bergsteiger. Neben dieser originär existentialistischen Betrachtungsweise gab es verschiedene Varianten. Beispielhaft sei die Vorstellung genannt, der Stein bleibe oben liegen – dann müsste Sisyphos selbst ihn wieder ins Tal rollen lassen, um auch künftig noch Arbeit zu finden.

Eine weitere Interpretationsvariante wurde in der damaligen DDR populär: Ihr folgend sollte Sisyphos den Stein liegen lassen. Dann wäre er am Platz, an den er gehört. Dann wird die Geschichte eine Parabel auf den Ausstieg aus dem Sozialismus.

Alle diese Interpretationen geben also Einschätzungen zur Frage, ob er glücklich sei oder nicht. Man möchte ihn am liebsten selbst fragen.

Meine Ansicht dazu ist: Die Strafe liegt weniger darin, dass er mühevoll den Stein heraufbewegen soll. Das ist vielmehr nur die Basis.

Aber darüber liegt etwas anderes: Er muss dies für den Rest seines Lebens tun.

Und darüber wiederum liegt ein drittes Element: Er kann das erkennen, denn er ist geistig gesund. Unwissenheit oder die Unfähigkeit zur Wahrnehmung können manchmal helfen, Dinge zu ertragen. Denn sie machen unempfindlich.

Ja, und es gibt sogar eine vierte Komponente: Das einzige, was Sisyphos nicht weiß, ist wie lange er noch zu leben hat.

Er weiß also, dass ihm jeder Sonnenaufgang das erneute, ewig gleiche Hochwuchten des schweren Steins bringen wird. Er weiß aber nicht, wieviele Sonnenaufgänge das noch sein werden. Genau in dieser Kombination liegt die Grausamkeit der Strafe.

So ist es auch ein wenig bei Parkinson: Wir erleben das bei vollem Bewusstsein. Man sieht dem eigenen Verfall zu.

Grausamkeit des Schicksals? Stellen Sie sich aber einmal den umgekehrten Fall vor. Sie kommen im Kopf durcheinander, Sie können Wahn und Wirklichkeit nicht mehr auseinander halten, Sie verlieren das Gedächtnis, Sie begreifen die Welt nicht mehr.

Wäre das besser? Sicherlich nicht. Im Gegenteil – Teilhabe, wie man so schön sagt, ist dann auch an den Freuden des Lebens kaum noch möglich. Wenn es mir heute schlecht geht, dann lege ich mich vor den Fernseher und sehe irgendwelche Filme. Oder ich lese. Und so kann ich es doch ganz gut aushalten, bis die genommenen Medikamente anfluten und ihre Wirkung entfalten. Ist das ein schlimmes Leben?

Problematisch dabei ist primär, dass das aktive Leben zeitanteilig zurückgeht (Fernsehen ist rein passiv). Und die Momente der Erlahmung werden auch immer schwerer vorhersehbar. Und sie nötigen einen zur Unterbrechung jeglicher aktiver Tätigkeit.

Aber selbst die Passivität ist nicht erzwungen. Wenn Sie einen Gleichgesinnten finden, können Sie sich mit diesem unterhalten. Bei einem Kaffeeklatsch macht man auch nichts anderes.

Und selbst wenn man alleine ist, geht noch etwas. Sie können Ideen entwickeln, was Sie als nächstes tun werden, sobald Sie wieder beweglich sind.

Ja ja, leicht gesagt – schwer gemacht. Denn die Phasen der Unbeweglichkeit gehen einher mit negativen Gedanken. Man müsste darüber nachdenken, wie man Bäume ausreißt – aber man ärgert sich stattdessen, dass man nicht einmal ein Blatt zerreißen könnte.

Und da kriecht sie wieder hinein: die Hoffnungslosigkeit. Und auch wenn man weiß, dass die Beweglichkeit wiederkehren wird. Deshalb ist Fernsehen oder Lesen gar nicht mal so schlecht. Denn es lenkt ab.

Ja, man muss es wohl stoisch ertragen. Schon die alten Griechen  haben dafür einen Unterbau geschaffen: die stoische Philosophie.

 

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