Späte Stadien (2) – erste Dämpfer

Dies ist der Versuch einer weiteren Eingrenzung und Beschreibung, wie sich fortgeschrittener Parkinson auswirkt und anfühlt. Am Anfang musste ich auf Buchwissen zurückgreifen bzw. die Fragestellungen der Neurologen heranziehen (s. dazu meinen ersten Artikel zu diesem Thema: Teil 1).

Jetzt dagegen nehme ich primär meine eigene Erfahrung – mehr als 10 Jahre – als Beispiel. Ich kann damit eigentlich nicht wirklich von „späten“ Stadien sprechen, eher von „fortgeschritteneren“. Aber egal, wie man es nennt: Es ist schon deutlich anders als zu Beginn. Wie immer erhebt dies keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

 

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[dlitem heading=“Isolation und etwas Resignation“]

Ich bin mit diesem Beitrag schon lange „schwanger“. Seit Ewigkeiten schiebe ich den Entwurf vor mir her. Ich redigiere hier ein wenig, schreibe dort eine Passage neu – aber ich bringe den Text nicht „durch die Tür“. Dafür habe ich sehr viele Erklärungen.

Die wichtigste scheint zu sein: Ich habe mich seit Wochen, zum Teil seit Monaten bei vielen meiner engsten Freunde nicht mehr gemeldet. Und warum? Ja, das sind die gleichen Erklärungen wie die für das Nicht-Zustandekommen dieses Beitrags.

Ich merke, dass ich in einer anderen, vollkommen neuen Phase angekommen bin. Dies ist nachfolgend beschrieben. Ich komme auf diesen ersten Punkt am Ende des Beitrags nochmal zurück. Jetzt erstmal die anderen Punkte.

Übrigens: Damit es nicht zu hoffnungslos wird, erlaube ich mir noch folgende Anmerkung. Wenn Sie, lieber Leser, diesen Text lesen, dann habe ich ihn ja endlich veröffentlicht – das ist ein gutes Zeichen! Ich kriege doch noch etwas „gebacken“ – immerhin!

 

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[dlitem heading=“Zunehmende Überbewegungen“]

Ich habe eher Lähmungserscheinungen. Meine erste Begegnung mit der sogenannten „Überbewegung“ geschah in einem Arztgespräch während einer Reha: „Spüren Sie das Zucken Ihrer Unterlippe?“ – nein, ich spürte das nicht. Das war eine „kleine“ Überbewegung.

Heute dagegen habe ich Phasen, in denen ich besser keine scharfen Gegenstände in den Händen halte. Denn ich könnte andere oder mich selbst verletzen, weil ich die Zuckungen meiner Gliedmaßen nicht mehr kontrollieren kann. „Grosse“ Überbewegungen sind also nicht ganz ungefährlich.

Sie sind außerdem anstrengend – man versucht, still zu halten; aber das will nicht recht gelingen. Hat die Zappelei einmal die Oberhand, ist sie schwer wieder loszubekommen. Ein probates Gegenmittel ist eine Art „Verknotung“ der Arme und Beine mit dem Stuhl, auf dem man sitzt.

 

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[dlitem heading=“Gewichte an den Gliedmaßen“]

„Nehmt die Arme in die Horizontale und haltet!“ – so in etwa lautete die Anweisung des Sportlehrers in einer der unteren Gymnasialklassen. Und dann folgte immer nur „… und halten“ bis zum irgendwann erlösenden „… und ab“. Das führte uns allen vor, wie schwer die eigenen Gliedmaßen sind – ohne zusätzliche Gewichte oder sonstige Erschwernisse. Jedenfalls anfänglich hielt kaum einer lange durch – und wir waren alle jung und gesund.

Heute spüre ich das Gewicht der Arme – immer. Es fühlt sich an, als ob man Blei in die Oberarme gegeben hätte. Bisher sind es nur die Oberarme. In manchen Phasen ahne ich, dass dies irgendwann auch dauerhaft für die Oberschenkel kommen wird. Und bei noch weiterem Fortschreiten wird es irgendwann auch die Unterarme und -schenkel erreichen.

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[dlitem heading=“Erschwerte Planbarkeit der Medikationswirkung“]

Jeder Tag läuft nach einem mehr oder weniger ausgeprägten Plan. Den Zeitpunkt einiger Aktivitäten kann man selbst beeinflussen, bei anderen dagegen sind uns Termine vorgegeben. Früher war es so: Egal wie der Tagesplan aussah – die Medikation ließ sich recht gut im Hinblick auf ihre Wirksamkeit einschätzen, so dass es möglich war, dem jeweils geplanten Ablauf zu folgen. Heute dagegen ist die Vorhersagbarkeit des Einsetzens von Off- und On-Phasen viel schwieriger.

Und: Im Off war man früher etwas gelähmt, so dass man eine Aktivität zwar nicht schnell, aber in der Regel auf langsame Art vollbringen konnte. Heute dagegen bin ich im Off zum Teil so unbeweglich, dass ich mich hinlegen muss und zu gar keiner Aktivität mehr in der Lage bin. Vielleicht schaffe ich noch rechtzeitig den Knopfdruck auf die Fernbedienung des Fernsehers. Ein Buch geht dann nicht, weil ich eine Seite Papier nicht umblättern kann. Und bei einem E-Book muss ich auch eine Bewegung machen,um zur nächsten Seite zu kommen.

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[dlitem heading=“Vermehrte Schlafstörungen“]

Manchmal haben die Schlafstörungen große Vorteile: Schlaflose Nächte gehören mit zu meinen produktivsten Phasen.

Trotzdem: Es wäre natürlich besser, hätte man sie nicht. Paradox ist außerdem, dass die Medikamente einen am Tage müde machen. Man ist also quasi wie umgepolt: Nachts durch aufputschende Wirkung ist man zum Teil hellwach, tagsüber dagegen ist man müde. Und damit meine ich nicht, dass man ein wenig gähnt und lieber schlafen würde. Nein, es ist eher so: wenn man sich irgendwo hinlegt oder -setzt, dann  fallen einem sofort die Augen zu.

Und man bezahlt für nächtliche Schlaflosigkeit am Folgetag: Die Beweglichkeit ist dann deutlich schlechter als im Normalfall.

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Einige weitere berichtete ich gerade per E-Mail an einen Freund:

„Meine neue Handynummer ist übrigens 01…  – symptomatisch übrigens, dass ich das nachschauen musste – in früheren Jahren konnte ich mir solche Nummern gut merken – heute bin ich aufs Papier angewiesen. Das eigentliche Drama aber ist, dass ich aus dieser Lappalie so ein Drama mache – wir alle werden ja nicht jünger. Also, was soll es?

Nein, mein eigentliches Problem ist, dass mir mehr und mehr die Kräfte schwinden. Ich habe immer mehr das Gefühl, den „Anschluss zu verlieren“. Ich habe viele Tage gebraucht, um Deine Mail nun zu beantworten. Und auch hier wieder hat das einzelne Ereignis keine große Bedeutung – aber so ist es mit ganz vielen Sachen.
Vor manchen Dingen habe ich inzwischen auch einfach Angst – Aufstehen vom Stuhl: Hohe Wahrscheinlichkeit, dass ich wieder vor Schmerz aufjaule. Hinsetzen: genau das Gleiche. Abends endlich mal zu Bett gehen: Schaffe ich das Aufstehen am nächsten Morgen? Nicht ins Bett gehen: Habe ich dann wieder Schlafattacken am Folgetag? Eine Aufgabe nicht übernehmen: Mache ich mich da vor anderen nicht lächerlich? Eine Aufgabe übernehmen: Schaffe ich das noch?
An all diesen Ausführungen merkt man, dass mein Optimismus nun doch ein wenig angeknackst ist – na ja, es wird eben noch.“
In der Gesamtschau kann man also eine generelle Verschlechterung der körperlichen Symptome sehen. Auch gibt es Folgeschäden wie z.B. Schmerzen durch falsche Körperhaltung. Manche Effekte wie zum Beispiel die nächtliche Schlaflosigkeit, sind Folgen der Medikation.
Und dies nagt – an der Seele.
Zum einen verstärkt es die Sorge, in der Öffentlichkeit „blöd dazustehen“. Zum anderen erschwert es einem die Planung von Aktivitäten, da man sich öfter fragt: „Kann ich das noch?“
Aber vor allem muss man natürlich dem eigenen Verfall zusehen. Aber bevor ich das nun weiter ausführe, nutze ich jetzt eine denkbar einfache Technik, um etwas zu veröffentlichen: Ich arbeite etappenweise. Ich habe noch viele andere Sachen zu sagen. Das mache ich in einem Folgeartikel.
Jetzt klopfe ich mir erstmal auf die Schulter, weil ich gleich auf den Button „Veröffentlichen“ klicke. Wenn nicht heute abend, dann morgen früh. Denn jetzt (abends ca. 23 Uhr) rutsche ich gleich wieder ins Off. Aber ich muss noch Korrektur lesen, um wenigstens die gröbsten Fehler zu beseitigen. Hurrah! Geschafft! Solche Dinge freuen mich! Es ist ganz kurz vor 23 Uhr. Morgen kann ich auch noch Fehler finden – wer liest schon in der Nacht?