Späte Stadien (15) – Zwischen Bangen und Hoffen

Mehr als 18 Jahre seit der Diagnose habe ich nun hinter mir.. Wie in der Altersphase des Lebens selbst: Man fragt sich, wo all die Jahre geblieben sind. Die Zeit rast nun schnell dahin.

Tagesablauf

Im Verlauf eines Tages durchlebe ich On-, Off- und Over-Phasen – also Phasen normaler, schlechter und übermäßiger Beweglichkeit. Allerdings werden die On-Phasen immer kürzer und Ihr Eintritt sowie Verlauf immer schwerer vorhersagbar.

Früher war ich in den Phasen der Medikamentenwirkung glücklich. Und zu den Zeiten, als die Pillen gerade keinen Effekt zeigten, war ich zum Glück nicht oder nur selten unglücklich.

Das ist heute anders: Wenn ich mich kaum bewegen kann, bin ich auch fast immer unglücklich. Ich male mir dann aus, wie es später einmal werden könnte.,

Sehr vielen Betroffenen habe ich als Trost „gepredigt“, dass nach jedem Sonnenuntergang auch wieder ein -aufgang kommt. Aber auch ich finde es inzwischen sehr schwer, daran zu glauben – obwohl es objektiv richtig ist. Pessimismus scheint vor allem dann zu entstehen, wenn das Off (meinem Gefühl nach) über Gebühr lange dauert.

Dabei gibt es oft ganz schlichte Gründe für überlange Phasen schlechter Beweglichkeit:

  • ein Medikamentenpflaster hat sich versehentlich und von mir unbemerkt gelöst, so dass die Zufuhr suboptimal war,
  • ich habe nicht genug getrunken oder gegessen, so dass die Medikamente nicht ihre volle Wirkung entfalten konnten,
  • ich habe in der Nacht davor zu kurz oder schlecht geschlafen, was meine Beweglichkeit generell herabsetzt,
  • etc.

Ich habe inzwischen ein recht gutes Gefühl, wieviel Dopamin ich in der Zeiteinheit vertrage. Das hält die Überbewegungen einigermaßen im Griff. Trotzdem kommen diese immer wieder mal vor. Dann hilft „Festknoten“ am Stuhl nichts mehr. Auch kann es mir passieren, dass ich aus dem Bett falle. Ursächlich sind in der Regel zu hohe L-Dopa-Raten. Diese entstehen, wenn ich zum Beispiel zuviel will – ich sollte wegen eines Arzttermins beweglich sein, bin es aber nicht. Eine kleine Turboration könnte helfen – so scheint es. In der Regel kommt diese aber doch zu spät. Eine andere Ursache ist Stress. Zum Beispiel, wenn Themen besprochen werden, die mich bewegen (im wahrsten Sinne des Wortes).

Es scheint mir wichtig, das positive Denken nicht abzulegen. Wenn ich es verliere, versuche ich mir mit „Verheißungen“ zu helfen. Ich denke – zum Beispiel – beim Aufstehen nicht darüber nach, wie schwer mir das fällt. Sondern ich male mir das wunderbare Frühstück aus, zu dem es mich bringen wird. Das erzeugt den notwendigen Schub.

Das steht natürlich in jedem Lehrbuch über Motivation. Und insofern ist es keine neue Erkenntnis. Aber es ist eine gute Technik für die Off-Phasen.

Hilfsmittel helfen mir leider nicht so viel

Manche agieren mit Hilfsmitteln. Das sind zum Beispiel Rollstühle oder Rollatoren.

Ich persönlich finde diese nicht ganz so nützlich.. Denn am meisten bräuchte ich sie im Off-Zustand. Aber dann versagen nicht nur meine Beine. Vielmehr sind auch Arme und Hände typischerweise kaum bewegungsfähig. Aber genau deren Hilfe bräuchte ich, um den Rollstuhl anzutreiben (oder für andere Dinge, die dann erforderlich wären.

Nur ein Beispiel dazu: Ich bekam einmal einen sogenannten „Hoch-Rollator“ für einen Tag zum Ausprobieren. Wesentliches Merkmal ist seine Höhe (so groß wie ein Mensch) mit einer Auflageplatte oben zum „Ablegen“ der Arme und Hände. Das bringt wirklich Entlastung fr diese. Außerdem kann man recht hohe Geschwindigkeiten erreichen, wenn man noch einigermaßen gut zu Fuß ist. Mir machte es jedenfalls großen Spaß, im Krankenhaus damit herumzufahren.. Allerdings nur leider bis zu meiner Zimmertür. Denn als ich vor ihr stoppte und den Rollie abstellte, musste ich leider feststellen, dass ich in meinen Armen nicht mehr die Kraft hatte, sie zu heben. Ich musste kurz warten, bis jemand vorbeikam, um mich zu erlösen.

Vorhersagbarkeit und Atomisierung von Aktivitäten

Ich habe mir angewöhnt, im Off möglichst nichts zu tun. Denn die Langsamkeit ist frustrierend. Leider aber ist es nicht immer zu vermeiden. Es klingelt an der Wohnungstür, man muss auf Toilette, die Zeit zum Aufbruch zu einem externen Termin rückt näher, Anrufe gehen ein – das sind nur einige Beispiele für Anlässe zu Aktivitäten, die sich kaum planen lassen. Manchmal gibt es Teilaktivitäten, die sich vorziehen lassen. Wenn man etwa einen Arzttermin hat, bei dem man bestimmte Dokumente mitbringen muss, kann man diese schon im Vorfeld zusammenstellen.

So wird das, was früher ein Vorgang war, zu mehreren kleinen. Was ich bisher „Duschen“ nannte ist bei mir heute zerlegt: Rasur, Waschen der Haare, Reinigung und Pflege der Füße etc. Durch diese Fragmentierung entstehen kleinere Tätigkeiten, die ich in der Regel selbstständig erledigen kann.

Das ist alles schön und gut, aber es kann eins nicht verdecken: Natürlich fragt man sich, wie Dinge später einmal funktionieren sollen, die heute schon Mühe machen. Und je mehr Funktionen ausfallen, desto düsterer wird die Prognose.

Aber auch hier empfiehlt sich Gelassenheit. Der Wegfall von Fähigkeiten ist letztlich eine normale Entwicklung, die wir gemeinhin „Altern“ nennen. Und wenn etwas nicht mehr oder nicht mehr so gut geht, dann verzichten wir darauf, wir lassen uns helfen oder wir bewerkstelligen es langsamer.