Agonisten und ihre Nebenwirkungen – Vermeidungsstrategien

Kann man das Auftreten von Nebenwirkungen vermeiden? Vermutlich nicht wirklich – aber man kann versuchen, sie zu verzögern.

Hier sind einige Hinweise dazu – alle sehr persönlich. Dies bedeutet: ich kann nur meine eigenen Erfahrungen (zum Teil gespeist aus Fehlern, die ich selbst gemacht habe) darstellen. Ob die jeweiligen Tipps auch Ihnen, lieber Leser, helfen werden, kann ich nicht beurteilen. Aber Sie können es versuchen. Bitte denken Sie aber stets daran: bleiben Sie in Fühlung mit Ihrem Arzt.

Im Kern möchte ich folgendes darstellen:

  • Verzögertes Aufdosieren,
  • Reduktion in der Nacht,
  • Dosisanpassung, Wechsel und Mischung.

 

Verzögertes Aufdosieren

Parkinson verläuft schleichend. Graduell geht es uns immer schlechter. Vor allem in der Anfangsphase spüren wir eher die Symptome der Krankheit, nicht oder jedenfalls kaum dagegen die Nebenwirkungen der Medikamente. Davon gibt es eine wichtige Ausnahme: Bei Erstgewöhnung und Aufdosierung entstehen temporäre Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Brechreiz oder Schlafattacken. In der Regel sind diese Gewöhnungseffekte allerdings recht schnell vorbei.

Die Erkrankung aber schreitet voran. Hat man zu Beginn (ohne Medikamente) das Bein nachgezogen, funktioniert dies nach Ersteinstellung auf eine Grundmedikation in der Regel wieder besser. Das Bein bewegt sich also wieder normal. Dann kommt aber irgendwann einmal eine Verschlechterung. Man beginnt wieder, das Bein etwas nachzuziehen. Oder ein anderer Effekt taucht auf. Und dann dosiert man höher. Der Zyklus Symptom – Nachjustierung der Medikation beginnt seinen ewigen Kreislauf.

Die spannende Frage ist: Wann justiert man die Medikation nach? Oder präziser: Wieviel schlechter muss es einem gehen, damit man höher dosiert? Und – und das wird nicht immer beachtet: wie lange muß es einem schlechter gehen, damit man davon überzeugt ist, dass die Verschlechterung dauerhaft ist?

Alle Parkinsonisten wollen – natürlich – immer möglichst gut „funktionieren“. Nehmen wir also einmal an, Sie sind gut eingestellt. Sie spüren dann aber, dass Sie wieder das Bein nachziehen (oder zittern usw.).  Das geht so einen ganzen Tag. Reicht das schon, um höher zu dosieren? Und wenn es zwei Tage sind? Oder eine ganze Woche? Und wie stark ist das Nachziehen (oder Zittern etc. pp.)? Wann beginnen Sie mit der Höherdosierung?

Ganz am Anfang der Erkrankung hat man noch großen Respekt vor jeder singulären Tablette. Die Beipackzettel lesen sich dramatisch. Jede einzelne Pille mehr ist noch ein spannendes Abenteuer im Hinblick auf die erhoffte Wirkung ebenso wie auf die unerwünschte Nebenwirkung.

Im Laufe der Jahre gibt sich das aber: man kennt seinen Körper und die Reaktion auf veränderte Dosen gut. Man hat irgendwann auch mal vergessen, eine Tablette zu nehmen und man kennt daher die Machtlosigkeit bei fehlender Medikation. Und man will immer weiter funktionieren.

Ich erinnere mich gut, wie mir einmal ein junger Krankenhausarzt sagte, ich müsse mich auch daran gewöhnen, phasenweise nicht ganz so beweglich zu sein. Innerlich war ich am Toben; ich ärgerte mich über seinen von jugendlichem Leichtsinn geprägten Hinweis. Heute dagegen weiß ich: ja, seine Bemerkung war richtig – und es geht auch.

Aber das Wichtigste ist: auch wenn die Erkrankung schleichend voranschreitet – das ist der langfristige Trend. Kurzfristig gibt es zahlreiche andere Faktoren, die es uns an manchen Tagen besser und an anderen schlechter gehen lassen. Einer der bedeutendsten davon ist der Schlaf, ein anderer der Streß. Viel Schlaf ist gut, viel Streß ist schlecht. Aber auch das Essen spielt eine Rolle: gerade bei Agonisten in Tablettenform mit Retardwirkung spielt (bei morgendlicher Einnahme) ein füllendes Mittagessen eine große Rolle – es drückt weitere Medikamentenreste ins Blut (in meiner Laiensprache ausgedrückt).

Dies bedeutet: wenn es Ihnen schlechter geht, dann denken Sie nicht zuerst an höhere Medikation. Prüfen Sie zunächst, wie es Ihnen ohne Störfaktoren geht. Und erst dann, wenn Sie das Gefühl wirklich dauerhafter Verschlechterung haben, dosieren Sie höher.

 

Reduktion in der Nacht

Mein Leben lang habe ich gerne Experimente gemacht und Dinge ausprobiert. Das gilt auch für meine Parkinsonmedikation.

So habe ich einmal folgendes ausprobiert: ich wollte die Wirkung meines Agonisten (ein 24h-Retardpräparat) über den Tag  „glätten“. Also habe ich von meiner damaligen Dosis nicht – wie im Beipackzettel verordnet – alles auf einmal genommen, sondern ich habe circa ein Viertel nach hinten geschoben. Ich habe also morgens drei Viertel der üblichen Dosis genommen, dann eine Woche lang das verbleibende Viertel drei Stunden später eingenommen. Eine weitere Woche später habe ich das verbleibende Viertel nochmals drei Stunden nach hinten verlegt. Weitere zwei Wochen später war ich  am Ziel meines Experiments: 12 Stunden Differenz.

Das Ergebnis war ein Fiasko: die Abendration des Medikamentes hatte mich für die Nächte dermaßen aufgeputscht , dass ich praktisch überhaupt keinen Schlaf mehr fand. Ich musste also den „Rückweg“ beschreiten und das oben genannte Procedere umgekehrt anwenden. Sofern Sie selbst Agonisten nehmen, können Sie sich ein wenig vorstellen, was die jeweiligen Anpassungen für Folgen hatten: phasenweise war der Rigor auf meiner Brust so stark, dass ich dachte, meine Lunge würde bald aufhören, mich mit Atemluft zu versorgen.

Heute gehöre ich aber deshalb zu den überzeugten Verfechtern „möglichst medikamentenfreier  Nächte“. Ich weiß, dass dies umstritten ist. Auch ich bin morgens praktisch ohne Medikamente fast so steif wie ein Brett. Aber ich schlafe besser – und das gibt mir viel mehr positive Effekte.

L-Dopa mit seiner Wirkung über einige Stunden (Ausnahme: Retardpräparate) läßt sich für die Nacht leicht herunterfahren, indem man einfach abends keine Tabletten mehr nimmt.

Aber wie sieht es mit Agonisten aus? Hier müssen wir nach Verabreichungsform differenzieren.

Bei Pumpen (insbesondere: Apomorphin) ist sowieso die nächtliche Abnahme erforderlich. Dies bedeutet die vollständige Aussetzung der Verabreichung in der Nacht.

Ganz ähnlich kann man es mit Pflastern machen. Man muss die Pflaster lediglich (alle oder einen Teil) abends abziehen.

Bei Tabletten muss man zwischen Retardtabletten und solchen, die stundenweise wirken, trennen. Wirken diese nur einige Stunden lang, ist es ebenfalls leicht möglich, einige Stunden vor der Nachtruhe keine Tablette mehr zu nehmen (bzw. die Dosis zu reduzieren).

Bei einer Retardtablette dagegen läßt sich diesbezüglich nichts machen – 24h Wirkung lassen sich nicht vermeiden. Was man versuchen könnte: ein Teil der Medikation durch ein Nicht-Retardpräparat des gleichen Wirkstoffs zu substituieren und diesen Teil dann für die Nacht wegzulassen. Ich muss dazu allerdings sagen, dass ich dies nie ausprobiert habe (derzeit habe ich keinen Bedarf, da ich die Pflasterform für meinen Agonisten habe). Vielleicht kommt die Pharmaindustrie ja auch irgendwann mit Retardpräparaten auf den Markt, die 12 Stunden wirken.

Wir verbringen circa ein Drittel unseres Lebens schlafend. Wenn wir es also schaffen, die Nachtmedikation um ein Drittel zu senken, ist dies eine Reduktion der Gesamtmenge um mehr als 10%. Das ist schon deutlich – und deshalb der Mühe wert, über den Weg dorthin nachzudenken.

 

Dosisanpassung, Wechsel und Mischung

Zum Verständnis der nachfolgenden Gedanken muss ich meinen eigenen Medikationsverlauf kurz beschreiben. Zu Beginn der Erkrankung (das ist jetzt mehr als 10 Jahre her) hatte ich nur Levodopa. Einige Monate später kam der erste Agonist in kleiner Menge hinzu. Die damalige Wirkung war für mich anfänglich wirklich erschreckend: bleierne Müdigkeit, Trägheit, verlangsamtes Sprechen. Mir war, als würde mein Leben in Zeitlupe ablaufen, während alle anderen in normalem Tempo vorwärts zu kommen schienen.

Nach einer Eingewöhnung wurde die Agonistenmedikation sukzessive im Laufe der Jahre heraufgesetzt. Gleichzeitig wurde statt des Präparats mit Wirkungsdauer im Stundenbereich umgestellt auf ein Retardpräparat, das man nur einmal am Tag nehmen musste. In Ergänzung hatte ich L-Dopa und diverse Hemmer (MAO-, COMT-).

Viele Jahre später war ich dabei, mich beim Agonisten langsam der Höchstdosis zu nähern. Irgendwann geschah das Unvermeidliche: ich  „knallte durch“. Mir und meinem Umfeld wurde klar, dass ich gerade begonnen hatte, „dumme“ Sachen zu machen. Die Reißleine musste gezogen werden.

So kam ich ins Krankenhaus. Unter anderem wurden dort die Medikamente aus mir „herausgewaschen“. Ich sollte 24h ohne Medikation auskommen. Wie ich später lernte, gehört dies zu den Standardmassnahmen zur Vorbereitung einer Tiefen Hirnstimulation (THS). Meine damalige Reaktion aber war, dass ich innerlich die Ärzte für bekloppt erklärte und ihnen deshalb prophezeite, dass ich einen Medikamentenentzug keine vier Stunden verkraften würde. Doch auch damit hatte ich Unrecht. Aus den 24 Stunden wurden – auf meinen eigenen Wunsch hin – sogar 48 Stunden ohne Medikamente. Rückblickend war dies eine der besten Massnahmen überhaupt. Denn dies zeigte mir, was ich vorher nie geglaubt hätte: ich konnte eine Weile ohne Medikamente durchhalten!

Natürlich dürfen Sie mich nicht fragen, wie. Man durchläuft verrückte Gefühle, ist ständig müde und schläft überhaupt viel, die Beweglichkeit ist völlig dahin. Und ich musste ganz viel lachen. Ja, man kommt sich vor, als ob man irre wäre. Aber dafür wird man mit einer Art Entschlackung reichhaltig belohnt. Man fühlt sich am Ende in einem gewissen Sinne befreit. Und die dann folgende erste Tablette genießt man auf eine völlig neue Art.

Trotzdem: Das eigentliche Behandlungsziel war damit noch nicht erreicht. Denn dafür war es primär wichtig, die Ursache für mein „durchgeknalltes“ Verhalten (also: die Impuls-Kontroll-Störungen) zu beseitigen. Und das war der „Grundpegel“ an Agonistenwirkstoff, der auch nach den 48 Stunden noch im Körper war und dessen vollständige Beseitigung sogar einige Monate in Anspruch nehmen würde.

Und damit sind wir beim Punkt: Wenn der vollständige Abbau des Agonisten aus dem Körper so lange dauert, heisst dies umgekehrt, dass der Körper den Wirkstoff im Laufe der langjährigen Einnahme akkumuliert. Die Zyklen des Auf- und Abbaus sind offensichtlich recht lang. Wie entsteht das? Genau kann ich das natürlich nicht sagen, aber ein Teil der Erklärung könnte folgendes sein: Bei Einnahme einer 24h-Retardtablette muss der Hersteller natürlich ganz sicher gehen, dass die Wirkung nicht  bereits nach 23 Stunden vorüber ist. Also hält eine solche Tablette in Wirklichkeit 25 oder 26 Stunden, enthält also mithin einen kleinen Überschuß. Auch bei den Pflastern, die ich heute habe, ist es so. Auf der Verpackung wird beschrieben, dass ein Pflaster zur Abgabe von 2 mg Wirkstoff am Tag in Wirklichkeit mehr als 4 mg Wirksubstanz enthält (dies bedeutet nicht, dass man das Pflaster 48 Stunden benutzen kann, denn nach 24 Stunden wird die Wirkstoffabgabe in die Haut sehr unregelmäßig).

Wenn das so ist, dann kann man den Körper in bestimmten Intervallen von den gespeicherten Überschüssen zehren lassen. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass man gelegentlich (zum Beispiel alle zwei Wochen einmal) nicht die volle Dosis nimmt, sondern etwas reduziert. Idealerweise tut man dies an Tagen, an denen man nicht zwingend ganz optimal „funktionieren“ muss.

Bei mir wurde nach der Entschlackungskur dann eine Umstellung des Agonisten vorgenommen. Ich erhielt also ein völlig neues Medikament mit einem ganz anderen Wirkstoff.

Dies zeigt: nicht alle Agonisten sind gleich. Offenbar gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Wirkstoffen, so dass es möglich wird, das Präparat zu wechseln. Man muss es also gar nicht erst soweit kommen lassen, dass mit einem Wirkstoff gravierende Probleme auftreten. Gelegentlich scheit ein Wechsel Gutes bewirken zu können.

Noch nicht ausprobiert habe ich die Mischung von zwei oder mehreren Agonisten. Wenn man wechseln kann, kann man möglicherweise auch mischen. Ich habe damit allerdings bisher keine Erfahrung. Aber vielleicht werde ich eines Tages das Experiment wagen.

 

Wie Sie also sehen, gibt es diverse Ansätze, wie man die Wirkungsdauer von Agonisten strecken könnte. Ich würde mich freuen, wenn die eine oder andere dieser Ideen für Sie nutzbringend war.