In den Bergen (2) – Konzessionen

Neulich ist es mir mal wieder passiert – es kommt ganz selten vor: Ich habe bitterlich geweint.

Ich saß in einem Bus in Südtirol, der eine Serpentinenstrasse mit traumhaften Ansichten der umgebenden Berge herabfuhr. Aber dafür hatte ich kaum einen Blick, denn mir liefen die Tränen übers Gesicht.

Was war vorausgegangen? Ich befand mich auf einer Bergtour. An dem Tag war eine Gipfelbesteigung (das klingt nach echter Kletterei – aber es war ein Wanderweg) vorgesehen. Ich war gut dabei, aber mir ging etwa 50-Höhenmeter vor der Spitze buchstäblich die Luft aus. Ich musste also eine Weile dort verharren. Anschließend ging ich mit der Gruppe, die vom Gipfel zurückkehrte den Weg weiter zu einer nicht allzuweit entfernten Bushaltestelle und fuhr mit dem Bus zurück. Die Gruppe wanderte indessen den regulär geplanten Abstieg weiter.

Alleine im Bus überkam mich das Bewußtsein, dass man im Laufe der Zeit immer mehr Konzessionen an die Erkrankung machen muss. Mir wurde wieder deutlich, welche Fähigkeiten ich Parkinson-bedingt mittlerweile verloren habe. Und nun sollte auch die Gipfelstürmerei dazu gehören. Die Emotionen überkamen mich. Aber wenigstens war das Fahrzeug fast leer, so dass niemand etwas mitbekam. Die wenigen Taschentücher, die ich dabei hatte, waren schnell aufgebraucht.

Irgendwann einmal wichen die Emotionen zurück und das Denken schaltete sich wieder ein. Und das zeigte mir, dass meine Wanderleistung doch gar nicht so schlecht gewesen war. Immerhin hatten wir bis zu meiner Erschöpfung bereits circa 900 Höhenmeter Aufstieg geschafft. Wir befanden uns auf einer Höhe von etwa 3.000 Metern. – Da kann einem schon einmal ein wenig die Puste ausgehen. Hinzu kam: Der vorangegangene Weg war nicht überall einfach gewesen. Und der Anstieg war auch ordentlich steil gewesen.

Am Vortag hatten wir sogar mehr als 1.000 Höhenmeter Aufstieg geschafft. Und ich war bis zum Ende dabei. Das sprach dafür, dass die Ursache für meine Schnauferei  nicht unbedingt fehlende Kondition war. Vielmehr dürfte mir  – jedenfalls anfänglich – die ungewohnte Höhe zu schaffen gemacht haben.

Und so konnte ich die folgenden Tage ganz ordentlich mithalten. Der Reiseleiter wie die Gruppe halfen mir dabei – teils durch gutes Zureden und motivatorische Ansprache, durch helfende Hände (zum Beispiel bei Überquerung eines reißenden Baches oder bei Stürzen, die mir ein- oder zweimal unterliefen), durch Überlassung  von gutem Equipment (Wanderstöcke) und teils durch Rücksichtnahme auf meine Off-Phasen. Lediglich am letzten Tag musste ich passen.

Und so geriet das frühe Weinen stattdessen zu einem anspornenden Schub. Die anstrengenden Aufstiege wurden durch fantastische Aussichten belohnt. Hinzu kam das Gefühl, doch im Großen und Ganzen einigermaßen „mitgehalten“ zu haben.

Und: Machen wir uns nichts vor – Konzessionen sind nicht Parkinson-spezifisch. Jeder erfährt im Laufe seines Lebens frustrierende Augenblicke. Denn jeder altert oder findet sonstwie seinen Meister. Ein Sportler zum Beispiel kann nicht ewig Weltmeister bleiben. Irgendwann kommt ein Herausforderer, der einem noch überlegen ist. Aber in unserem „Normalfall“ geht es nicht um eine Weltmeisterschaft. Vielmehr um eigentlich alltägliche Dinge. Und um derentwillen sollte man nicht weinen. Wir wissen es doch aus der Topologie der Berge: jedem Aufstieg folgt ein Abstieg, wenn man zum Ausgangspunkt zurückkehren will. Ist da ein Abstieg eine Konzession? – Nein, natürlich nicht. Jedenfalls oft nicht.

Und deshalb hätte ich den Besuch einer Bergregion gar nicht hochstilisieren sollen. Es war, was es war: eine wunderschöne Reise mit Sporteinlage. Und man sollte sich sportlich betätigen so gut es eben geht. Das muss ein bisschen anstrengend sein. Sonst ist es keine echte Ertüchtigung. Dazu muss man das richtige Maß finden. Und: Man muss trainieren. Bewegung – das raten mir auch die Ärzte immer – ist gut gegen Parkinson. Na also!

Gerade für einen Sportmuffel wie mich ist das Bergsteigen eine gute Gelegenheit zur Bewegung. Denn die Gipfelaussichten geben unmittelbar Anreiz zum Aufstieg. Das hat mich auch motiviert, vorab ein wenig zu trainieren. So wurde die sportliche Betätigung auch regelmäßig.

Heute – nach drei Bergtouren in diesem Jahr – sehe ich viel klarer, was noch geht und was nicht. Auch deshalb haben die Bergtouren viel gebracht. Und: Meine Technik hat sich deutlich verbessert dank der vielen Hinweise, die ich auf den Wanderungen bekam.

Aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass dieser Beitrag mit einem emotionalen Ausbruch beginnt – Anzeichen für erneutes „Durchknallen“ als Nebenwirkung meiner Agonisten-Einnahme (s. dazu Beitrag Agonisten und ihre Nebenwirkungen)? Ja, das kann ich nicht ausschließen. Aber tatsächlich ist mir eine leichte Dosisreduktion (der Agonisten) gelungen. Ich habe einen Weg gefunden, den COMT-Hemmer so einzunehmen, dass ich nicht ständig Überbewegungen habe. Das ist in einem separaten Beitrag dargestellt (Erfahrungen mit Tasmar).