Ende der Arbeit – die Bedeutung der Arbeit

Bevor Sie diesen Artikel lesen, sollten Sie die beiden vorangegangenen gelesen haben:

Ob jemandem seine Arbeit Spaß macht, erkennt man sofort. Die Supermarktkassiererin, die Sie freundlich anlächelt und vielleicht sogar beim Einpacken hilft, ist zufrieden und mit Leib und Seele dabei.

Mein großes Glück war immer, dass ich nur tolle Jobs hatte. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Aber ich verstehe das nicht immer. Manchmal wundere ich mich über unzufriedene Personen. Vor allem dann, wenn sie in ihrer Freizeit noch Kassenwart in ihrem Heimatverein sind. Ich war selbst mal Kassenwart in einem Verein und fand diese Tätigkeit (nicht den Verein) etwas langweilig (motiviert habe ich mich mit dem Gedanken, dass man als Kassenwart ja Einblicke in das gesamte Vereinsgeschehen gewinnt und überall mitreden kann). Deswegen verstehe ich oft nicht, dass Leute sich so in Vereinen engagieren – aber im Beruf nicht. So groß scheint mir der Unterschied nicht zu sein.

Aber zurück. Unser Leben ist grob dreigeteilt: Ausbildung, Arbeit, Ruhestand. Die Arbeit macht also ungefähr ein Drittel aus. Nun stellen wir uns vor, jemand namens James kommt zu Ihnen. Er klopft Ihnen auf die Schulter und sagt sinngemäß: „Komm so langsam mal zum Ende. Für Dich ist in ein paar Jahren der Ruhestand vorgesehen.“ Welche Gedanken schießen dann durch Ihren Kopf?

  • Ist genug Geld da?
  • Was sagt meine Familie? Oder meine engsten Freunde?
  • Was kann ich tun? Wie kann ich mich beschäftigen?
  • Wie sorge ich für Ablenkung von der Erkrankung, an die ich nicht die ganze Zeit denken will?

Und die Beantwortung dieser Fragen wird dann letztlich zum Arbeitsprogramm, um den Tag X vorzubereiten. Er kann kommen, wenn diese Fragen zufriedenstellend beantwortet sind.

Lassen Sie uns die einzelnen Punkte wenigstens kurz streifen.

 

Finanzielle Situation

Beendigung der Arbeit bedeutet Wegfall des (eigenen) Erwerbseinkommens. Dies wird möglicherweise durch eine Rente ersetzt. Aber diese fällt oft viel geringer als das bisher erzielte Einkommen aus. Manchmal sind andere Einkünfte da, zum Beispiel die des Partners, aus Kapitalanlagen oder Vermietungen.

Ist man gegen Berufsunfähigkeit versichert, kann dies ein weiteres Substitut sein. Nicht umsonst sagen Verbraucherschützer, dass eine solche Versicherung in ihrer Bedeutung gleich nach der Haftpflicht rangiert. Trotzdem ist der Verbreitungsgrad nicht annähernd so hoch. Ist der Parkinson einmal da, ist dies auch nicht mehr versicherbar. Deswegen kann man den Ratschlag, sich zu versichern, nur noch für die Angehörigen und Freunde aussprechen. Für die Erkrankten ist das zu spät.

Eine weitere Einkunftsquelle könnte sich durch Aufnahme einer anderen, mit Parkinson eher machbaren Tätigkeit ergeben. Allerdings sind die Chancen zur Ergatterung eines solchen Jobs vermutlich nicht allzu hoch.

Gespräche mit den jeweils Beteiligten (bisheriger Arbeitgeber, Rentenberatungsstellen, Versicherung, Integrationsamt) sollten deshalb rechtzeitig aufgenommen werden, um die bestehenden Möglichkeiten auszuloten.

 

Familie und enge Freunde

Haben Sie noch Familie? Oder sind diese weggelaufen? – Ich kann das gut verstehen, denn Parkinson ist für ALLE Beteiligten eine große Belastungsprobe. Oft wird über die Patienten gesprochen. Aber wer trägt die Hauptlast aus der Erkrankung? Es sind die namenlosen Angehörigen, enge Freunde, die sich für die Hilfe opfern. Es sind diese Personen, die sich Sorgen über die Zukunft machen. Nicht immer werden sie mit dem angemessenen Dank bedacht, dass sie bei der Bewältigung der Situation helfen.

Nun reden wir über das Ende der Arbeit. Mit ihr fällt die wichtigste Ablenkung für den Patienten weg. Wenn man viel arbeitet, hat man nicht soviel Zeit, sich den Kopf über sein Krankenschicksal zu zerbrechen. Nun steht es bevor, das Ende einer der wichtigsten „Beschäftigungstherapien“ (! – die Verwendung dieses Wortes an dieser Stelle zeigt wohl seine wortwörtliche Bedeutung). In welches Umfeld kommt man dann hinein? – Ja, in das der Familie und der Freunde. Da war man vorher natürlich auch schon. Aber jetzt wird’s intensiv.

Das ist eine neue Erfahrung für den Patienten – aber auch für die anderen. Sicherlich kennen Sie Loriots Film „Pappa ante portas“ – die Geschichte einer Führungskraft, die plötzlich in den vorgezogenen Ruhestand kommt. Von den vielen herrlichen Szenen darin ist eine ganz besonders hervorragend geschauspielert: das Essen des Managers  mit seiner Frau und seinem Sohn, bei dem er den beiden eröffnet, künftig zu Hause bleiben zu werden.  Evelyn Hamann spielt die Frau von Loriot in diesem Film. Wie es in ihrem Kopf arbeitet, als sie die Bedeutung der Botschaft zu realisieren beginnt, kann man unmittelbar sehen.

Eine fiktive Geschichte? In ihrer Übertreibung sicherlich, aber – wie immer bei Loriot – mit einem riesigen Schuß gelebten Alltags versehen. Und wie der Film auch zeigt, dauert es eine Weile, die „Rollen“ innerhalb der neu formierten Familiengemeinschaft festzulegen und auszufüllen. Der Firmeneinkäufer mutiert zum Haushaltsmanager und Hundebetreuer. Er muss aber erst noch lernen, die Angestellten im Lebensmittelladen richtig anzusprechen und den störrischen Hund zu bändigen.

 

Beschäftigung

Aber seien wir ehrlich: wenn die Familie und die Freunde bisher schon gut ohne den Parkinson-Kranken zurecht gekommen sind, dann ist er jetzt vielleicht gar keine so große Hilfe. Das kann so sein – oder gerade andersherum. Denn vielleicht ist innerhalb der häuslichen vier Wände bisher schon einiges aus dem Ruder gelaufen (wegen des Parkinson oder unabhängig davon). Dann ist es vielleicht ein Segen. Der Parkinson-Kranke kann seine Stärken und Fähigkeiten (seien es die bisherigen oder neu erworbene) einbringen, um Boden gut zu machen.

Es muss ja auch gar nicht zwingend die Familie zum „Toben“ sein. Vielleicht ergeben sich andere Aufgaben. Ehrenamtliche Hilfe zum Beispiel. Engagement in Vereinen oder Interessensgruppen und dergleichen kommen ebenfalls in Betracht. Wichtig dabei ist wohl, dass die gebackenen Brötchen von ihrer Größe her dem Krankheitsverlauf angepasst sein sollten. Und es sollte – wie immer – klare Ziele und Meilensteine geben.

 

Ablenkung

Wenn man ein solches „Arbeitsprogramm“ entwickelt hat, dann hilft es dabei, ein permanentes Nachdenken über die Krankheit zu vermeiden. Trotzdem braucht man vielleicht noch weitere Ablenkung.

Die kann aus den bisher schon gelebten Hobbies herauskommen. Aber eine Besonderheit des Parkinson-Kranken ist ja, dass er am Tag auch gelegentlich im Off ist, also der Unbeweglichkeit ziemlich oder ganz nahe. Kann man auch für diese Phasen etwas empfehlen? – Ja, das Internet!

Zum Beispiel kann man sich auf Youtube oder anderen Videoportalen sogenannte Playlists anlegen, also Sammlungen von Filmen, die einem besonders gefallen. Das können Dokumentar- und auch teilweise Spielfilme sein, Musik oder sonstige unterhaltsame Medien. Auch für die Bildung gibt es viel: zahlreiche Universitätsvorlesungen finden sich dort auch.  Wichtig scheint mir, damit beizeiten anzufangen, so dass man sich „auskennt“, wenn es soweit ist.

Das gilt auch für andere Gebiete, auf denen man seine „Hausaufgaben“ machen sollte. Haben Sie Patientenverfügung und Vorsorgevollmachten?  Wenn nein, dann sollten Sie sich auch damit beschäftigen.

 

All das hier Genannte kann natürlich nur Anregung sein. Jeder muss seinen eigenen Weg gehen und finden. Aber vielleicht ist das eine oder andere Nützliche dabei, um den Schritt vom „mittleren“ zum „dritten“ Lebensabschnitt etwas einfacher zu machen. Denn obwohl der Ruhestand im Regelfall die längste Lebensphase darstellt und eigentlich beste Voraussetzungen bietet, optimal planbar zu sein, ist es doch oft genau diejenige Zeit, die am schlechtesten vorbereitet ist.

Und noch etwas anderes scheint mir interessant: all diese Überlegungen gelten nicht nur für Parkinson-Kranke, sondern für alle Menschen gleichermassen. Denn das Arbeitsleben endet für alle einmal. Manchmal früher, manchmal später. Und das ist eine gute Botschaft. Denn es zeigt, dass auch der Umgang mit Parkinson ein Stück weit der Umgang mit der Normalität ist – oder es wenigstens werden kann.

Na, wenn das keine gute Aussichten sind! Viel Spaß im Ruhestand!