Xadago (Safinamid) – Gedanken zur Einführung
Aktualisierung 10.11.2015
Wenn ein Medikament neu auf den Markt kommt, das eine völlig neue, innovative Marktnische abdecken soll, gibt es naturgemäß große Resonanz. Xadago ist so ein Medikament: Es soll die Überbewegungen vermindern, die im Laufe der jahrelangen L-Dopa-Einnahme immer öfter und heftiger werden. Das ist verheissungsvoll.
Umso erstaunlicher ist es, dass sich im Internet nur wenige und vor allem wenig konkrete Erfolgsmeldungen finden. Dieses Thema habe ich in dem Artikel zu ersten Erfahrungen mit Xadago ein wenig beleuchtet.
Hier möchte ich – in Ergänzung zu untenstehenden Gedanken im ursprünglichen Artikel – meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass es überhaupt gar nicht so viele Berichte zu Xadago gibt – und zwar unabhängig von der Frage, ob Erfolg oder nicht vorliegt.
An vielen Stellen im Web wird der Frage nachgegangen, wie die ersten Erfahrungen sind. Manche berichten positiv, manche negativ. Aber es sind eben nur „manche“ – also nicht „viele“ oder „mannigfache“ – Antworten, die man finden kann – von Ärzten wie von Patienten. Also viele Fragen, aber nur manche – soll heißen: wenige – Antworten.
Warum ist das erstaunlich? Nun – wir erinnern uns -, L-Dopa ist der „Goldstandard“ der Parkinson-Behandlung. Sehr viele Parkinson-Patienten erhalten es irgendwann einmal im Verlaufe ihrer Behandlung. Und da die Krankheit sich über viele Jahre oder gar Jahrzehnte hinzieht, erhalten die Patienten L-Dopa auch oft jahrelang. Und dies bedeutet: Ein sehr hoher Anteil müsste mit den Überbewegungen zu kämpfen haben.
Und dies wiederum heisst: Die Zielgruppe von Xadago ist sehr groß. Alleine in Deutschland soll es mehr als 250.000 Erkrankte geben. Nehmen wir einmal an, dass davon 50.000 Probleme mit Überbewegungen hätte. Dann wäre das das Marktpotential für Xadago hierzulande. Und da eine ständige Medikation erforderlich ist, werden die meisten auch in ärztlicher Behandlung sein.
Natürlich tummeln sich nicht alle davon im Internet. Viele werden hochbetagt sein. Viele werden vermutlich das Internet nutzen, ohne jemals etwas zu schreiben. Viele werden von Xadago noch nichts gehört haben. Und viele haben vielleicht sogar davon gehört, aber entschieden, erst einmal abzuwarten.
Aber trotz aller dieser Verdünnungseffekte könnte man m.E. viel mehr Resonanz im Web erwarten. Ich habe leider keine Erklärung dafür, warum es so wenige Berichte überhaupt gibt. Denkbar wären:
- Ärzte verschreiben noch sehr selten, weil sie Erfahrungswerte abwarten wollen.
- Patienten wollen nicht voreilig das Medikament nehmen, bevor es erste Praxisaussagen dazu gibt.
- Überbewegungen sind nicht so verbreitet wie gedacht.
- Oder Überbewegungen werden nicht als so problematisch angesehen.
- Das Medikament wird (noch) als zu teuer empfunden.
Umso mehr wäre es wünschenswert, dass es gut wirkt. Dann würde der Erfolg dem Medikament zu einem Durchbruch verhelfen können. Je schneller es klarstellende Berichte gibt, desto besser für alle. Sollten Sie also eigene Erfahrungen mit Xadago haben, berichten Sie in den einschlägigen Foren darüber – egal, ob gut oder schlecht. Die anderen werden es Ihnen danken.
Ursprünglicher Artikel
In manchen Gesprächen über Parkinson kommt die Rede irgendwann auf das Thema der begrenzten Lebensdauer der Medikamente. Fast alle Medikamente („fast“ kann vielleicht sogar entfallen) zeigen im Zeitablauf „wearing-off“, also Abnutzungserscheinungen in ihrer Wirkung. Es ist so, als erhielten Sie jeden Tag zum Mittagessen Ihre Leibspeise – schnell wäre ihr Status als solche dahin. So muss es wohl auch mit den heilsamen Pillen sein.
Dieser Effekt ist vor allem für „young onset“-Patienten (Auftreten der Symptome im „jugendlichen Alter“ von 40 oder davor) von Bedeutung. Denn bei unterstellter durch Parkinson nicht oder kaum verkürzter Lebenserwartung müssen diese noch einige Jahrzehnte (nicht: Jahre!) mit der Erkrankung leben.
Gegeben diese Tatsachen, driften solche Gespräche manchmal etwas in ab ins Negative. Dies hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Denn es bleibt im allgemeinen nur ein abschließendes „die Hoffnung stirbt zuletzt“ als bescheidenes Trostpflaster.
Dabei ist das gar nicht notwendig. Denn erstens steht mit der tiefen Hirnstimulation eine weitere, nicht-medikamentöse Therapie bereit. Zweitens ist Parkinson inzwischen so verbreitet, dass sich Forschung auf diesem Gebiet lohnt und deshalb intensivst betrieben wird. Drittens gibt es immer wieder einmal „Durchbrüche“, also Innovationen bedeuternderen Ausmaßes.
Ein solcher Durchbruch könnte Xadago sein. Jedenfalls wird er von manchem so dargestellt (xadago-einfuehrung-kommentare.pdf).
In jedem Fall zeigt dies, dass tatsächlich Fortschritte erzielt werden. Manche davon werden sicherlich durch Rückschritte wieder zunichte gemacht – aber das ist ja immer so.
Freilich merkt man bei der Xadago-Einführung auch, wie schwierig es für den Hersteller zu sein scheint, genügend Validierung positiver Wirkung durch Studien zu bekommen. Offensichtlich gab es zwei große Studien mit jeweils mehreren Hundert Teilnehmern, von denen eine allerdings vorzeitig beendet werden musste.
Auch scheint es nicht so ganz einfach für den Hersteller zu sein, die genauen Vorteile des Medikamentes so darzustellen, dass Patienten oder andere Laien (diejenigen Parkinson-Kranken, die selbst Ärzte, Pharmazeuten oder sonstwie vom Fach sind, mögen mir verzeihen, dass ich Patienten hier generell als Laien einstufe) es verstehen könnten und ihre Folgefragen, die auf der Hand liegen (siehe Artikel über Wirkung und Folgefragen), beantwortet wären.
Leider scheint es keine Zitatensammlung oder veröffentlichte Bewertungen zu geben, anhand derer man sich ein genaueres Bild machen könnte. Wie schön wäre es, eine Erfahrungssammlung von Medikamenten zu haben – ähnlich wie bei Büchern. Es müsste dazu eine große Nachfrage geben. Diese Website wird inzwischen am häufigsten über die Suchwörter „apomorphin erfahrungen“ aufgesucht. Ich werde gespannt sein, ob „xadago erfahrungen“ dem den Rang ablaufen wird.
Aber auch ohne Medikamentenbewertungsportal: Bei Xadago kann man sich bei Auftreten von bisher unbekannten Nebenwirkungen direkt an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wenden. Dies scheint eine Begleitmassnahme der Einführung zu sein. Der Hinweis findet sich direkt im Beipackzettel (den gibt es auch für 50 mg Wirkstoff).
Die Nebenwirkungen scheinen bei Xadago auch besonders ins Kontor zu schlagen: Selten habe ich eine so lange Liste denkbarer Seiteneffekte gesehen wie bei dieser Arznei. Dieser Eindruck entsteht vielleicht auch deshalb, weil es – anders als sonst im Regelfall – keine Sortierung nach Bereichen (Erkrankungen des Blutes, Stoffwechselstörungen, psychiatrische und neurologische Erkrankungen etc.) gibt. Vielmehr wird nur nur die übliche Unterteilung nach der Häufigkeit des Auftretens angegeben.
Aber es ist nicht nur die Fülle und scheinbare Unstrukturiertheit der Auflistung der Nebenwirkungen, die zu denken geben. Nein, es ist auch die Tatsache, dass zu einigen Effekten auch deren „Gegenteil“ auftaucht: Gewichtsverlust kann einen ebenso treffen wie Gewichtszunahme, Appetit kann sich vermindern oder erhöhen, der Blutdruck kann steigen oder sinken, der Herzschlag kann klopfend, schneller, unregelmäßiger oder langsamer werden. All diese Beispiele kann man aus dem nachfolgenden Auszug des derzeit gültigen Beipackzettels ersehen:
Übrigens: eine besonders interessante „Nebenwirkung“ wird als „häufig“ gekennzeichnet: die „Verschlechterung der Parkinson-Krankheit“. Zwar kann man sich vorstellen, dass es unerwünschte und auch wirklich unangenehme Nebeneffekte gibt. Aber dieser erscheint doch ganz schön frappierend.
Interessant finde ich auch die überbordende Euphorie, die es manchmal auf Patientenseite zu geben scheint. Siehe dazu die Kommentare zu folgendem Artikel, der auch kritische Aspekte hervorhebt: Artikel zu Xadago . Sie zeigen, wie groß der Durst nach solchen Fortschritten ist.
Als Fazit bleibt: Solche Fortschritte sind wichtig für die „Moral der Truppe“ (also der Patientenschaft). Man wünschte sich allerdings von Beginn an noch mehr professionelle Hintergrundaufklärung. An die Patienten kann man nur appellieren: Beteiligen Sie sich an Studien und tauschen Sie Ihre Erfahrungen aus!