Tiefe Hirnstimulation – Gedanken im Vorfeld
THS – Tiefe Hirnstimulation, auf Englisch dbs – deep brain stimulation. Schon kurz nach Diagnose läuft dieser Begriff einem jeden über den Weg, der sich auch nur in Ansätzen mit der Parkinson-Erkrankung beschäftigt. Die drei Buchstaben bezeichnen einen operativen Eingriff, bei dem Elektroden in das Gehirn eingepflanzt werden. Diese tragen bei angelegtem Strom dazu bei, die Symptome der Erkrankung zu lindern. Die erforderliche Medikation sinkt auf etwa die Hälfte.
Ähnlich wie die Medikamente stoppt der Eingriff den Verfallsprozeß der dopaminproduzierenden Zellen im Gehirn NICHT. Vielmehr werden auch hier „nur“ die Symptome gelindert. Man sagt, dass man bei erfolgreichem Eingriff in einen Zustand versetzt wird, der einige Jahre zurückliegt – man gewinnt also einige Jahre erhöhter Lebensqualität. Wer schon einmal Parkinson-Symptome gespürt oder beobachtet hat, weiß das zu würdigen.
Ich selbst stieß ebenfalls kurz nach Diagnose auf das Thema. Ich las das Buch Lucky man von Michael J Fox. Auch dort war das Verfahren beschrieben. Zum damaligen Zeitpunkt schien mir der Gedanke an künstlich ins Hirn eingebaute Elektroden schlicht unvorstellbar. Niemals würde ich zulassen, eine komplexe Struktur mit so aberwitzig vielen wichtigen und unterschiedlichen Funktionen von außen zu manipulieren.
Nun, jeder Parkinson-Kranke lernt irgendwann einmal, was Konzessionen sind. Schleichend macht man immer mehr Zugeständnisse. Und so war es auch hier bei mir. Im Laufe der Zeit lernt man, dass es einfach töricht ist, eine wichtige Behandlungsmethode außer Acht zu lassen – vor allem, wenn sie so erfolgreich ist.
Erfolg
Erfolgreich? Woher kann ich das wissen? Und: was ist ein Erfolg überhaupt? Ist es ein Erfolg, wenn man besser beweglich ist, aber dafür Depressionen bekommt, die man davor nicht hatte? Das war nämlich „früher“ einmal das Problem. Die Zielregion, in der die Elektroden platziert werden, zerfällt in zwei Teile. Einer davon ist für die Stimmungslage mitverantwortlich. Heute versteht man das besser. Deshalb erfolgt die Positionierung so, dass negative emotionale Effekte weitestgehend vermieden werden.
Vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, einen Vortrag über THS zu hören. Dieser wurde von einem jungen Universitätsprofessor gemacht. Und er war wirklich hervorragend. Nicht nur konnte der Redner den Stoff sehr lebendig und fachlich fundiert vermitteln. Er hatte außerdem vier Personen im Schlepptau, die alle bereits operiert waren und darüber sprachen. Alle vier waren begeistert. Sie erzählten von den phänomenalen Effekten und positiven Veränderungen in ihrem Leben.
Einer schaltete vorübergehend einmal den Strom ab. Seine Verwandlung in ein zittriges, unbewegliches Etwas – quasi „auf Knopfdruck“ – war erschreckend und faszinierend zugleich. Jeder Parkinson-Kranke weiß, wie sehr man durch die Tabletten beeinflusst wird – im Guten wie im Schlechten. Aber Tabletten brauchen schon ein bisschen Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Bei den Elektroden ist es nur ein Schalter, der einen Menschen total verwandeln kann.
Die Vorstellung, dass Elektroden in das Gehirn eingebaut werden und dort bleiben, erscheint anfänglich gruselig. Aber eine Reha-Ärztin hat mich richtigerweise einmal darauf aufmerksam gemacht, dass es keinen so fundamentalen Unterschied zwischen diesem Verfahren und der Medikamenteneinnahme gäbe. In beiden Fällen wird etwas in das Hirn eingebracht, von dem man weiß, dass es in der Regel positiv auf die Parkinson-Symptomatik wirkt. Nebenwirkungen gibt es ebenfalls in beiden Fällen, aber diese scheinen recht gut beherrschbar zu sein – jedenfalls eine Weile.
Und sie hat damit nicht Unrecht. Auch ich habe mich inzwischen an diesen Gedanken gewöhnt. Ich bin zwar noch nicht soweit – die Medikamente tun mir immer noch sehr gut bei bisher überschaubaren Nebenwirkungen. Aber es ist ein beruhigendes Gefühl: ich habe noch eine weitere Option im Köcher. Für mich intern habe ich eine (vollkommen subjektive) Skala: 0 bedeutet, dass ich die THS überhaupt gar nicht will, 10 bedeutet, dass ich sie ganz dringend brauche. Ich habe mit meinen behandelnden Ärzten besprochen, dass ich mich melde, wenn ich die 8 erreiche. Derzeit fühle ich mich mit den Medikamenten so gut, dass ich circa bei 4 liege. Ich hatte auch schon einmal Zeiten, in denen ich bei 7 lag.
Anders gesagt: die Skala misst, wie gut (0) oder schlecht (10) ich mich fühle. Die derzeitige 4 ist ziemlich gut. Aber noch viel besser ist, dass ich mich von einer 7, die ich vor einigen Jahren einmal hatte, wieder auf die 4 hochgearbeitet habe. Das zeigt nämlich, dass es gelegentlich auch aufwärts geht. Wer hätte das gedacht? – Bei einer Erkrankung, die im Ruf steht, nur eine Richtung zu kennen:: nach unten. So ist es also gar nicht. Viel liegt sicherlich auch daran, dass sich mein Umfeld gerade ändert – aber das ist schon wieder ein anderes Thema.