Die Magie der Medikation
Als Fahrschüler lernt man das Anfahren am Berg: Damit das Auto nicht zurückrollt, muss man die Handbremse anziehen. Dann lässt man ganz langsam die Kupplung kommen, bis sie „greift“. In diesem Moment gibt man Gas und löst die Handbremse.
Man muss den richtigen Moment erfühlen. Man spürt, wie die Kraft des Gasgebens im Motor auch „wirkt“. Das ist der Moment, in dem man die Macht des Autos am besten wahrnimmt. Der Druck aufs Gaspedal führt nicht zu einem lauten, aber wirkungslosen Aufheulen des Motors. Vielmehr wird die Motorkraft nun auch wirklich in Bewegungsenergie umgesetzt, wenn man das Kupplungspedal an der richtigen Stelle hat.
Ähnlich – um nicht zu sagen: genauso – ist es mit dem morgendlichen Anfluten der Medikamente. Ist man zunächst noch ein schwach bewegliches Etwas, verwandelt man sich von einer Sekunde auf die andere in ein geladenes Energiebündel. Man kann auch hier den Moment erfühlen, an dem die Medikamente „greifen“. Plötzlich ist man belebt, der Körper ist wieder frei beweglich. Die Lähmung ist wie weggeblasen.
Ein anderer Vergleich ist das Starten eines Flugzeugs. In der Regel verharrt es mit angezogener Bremse bei dröhnenden Triebwerken am Anfang der Startbahn. Bei Freigabe zum Start werden die Bremsen gelöst, so dass die Düsen vollen Schub entfalten können. Und beim Fliegen gibt es noch einen zweiten besonderen Moment: Das eigentliche Abheben, für das es im Englischen das treffende Wort „airborne“ gibt.
Immer wieder erstaunt es mich, dass ich auch heute noch – nach jahrelanger Medikamenteneinnahme – jenen Punkt des „Kick-ins“ so deutlich spüren kann. Es fühlt sich einfach großartig an. Und – wir sollten uns nichts vormachen – es ist nicht selbstverständlich, dass wir heute gute Medikamente haben. Natürlich wäre es toll, wenn einmal jemand einen Wirkstoff fände, der den Verfallsprozess der dopaminerzeugenden Zellen stoppen könnte. Aber auch die heute mögliche Symptomlinderung war schon ein gewaltiger Fortschritt. Ich will also an dieser Stelle auch „Danke“ sagen – in Richtung derjenigen Personen, die die heutige oder künftige Arzneimittelforschung durchführen.
Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt, den ich hervorheben will. Es scheint mir faszinierend – und gleichzeitig auch erschreckend -, wie sehr wir chemisch gesteuert sind. Die Bewegungsfähigkeit des Körpers hängt also in der Tat davon ab, ob wir einen bestimmten Dopaminpegel erreichen. Und das ist sicherlich nur einer von ganz vielen Wirkmechanismen, bei denen bestimmte Stoffe ein Verhalten oder eine körperliche Reaktion auslösen.
Und wir haben großes Glück. den ersten Kick-in eines Medikamentes erleben wir im Regelfall morgens nach dem Aufstehen und der Einnahme der ersten Medikamentenration. Also in wachem Zustand. Das Umgekehrte – das Sinken des Pegels unter den Schwellenwert – dagegen erleben wir im Schlaf, wenn wir es nicht groß spüren.