Ende der Arbeit – das Umfeld spiegelt die Situation
Bevor Sie diesen Text lesen, sollten Sie idealerweise den Einführungsbeitrag dazu (Ende der Arbeit) gelesen haben. Das ist nicht zwingend, aber es könnte Ihnen beim Nachvollziehen der Gedankengänge hier helfen.
Ich hatte es einfach: immer nur Büroarbeit. Ich musste nie eine Maschine bedienen, nie ein Auto fahren, nie im Schichtbetrieb arbeiten. Ich glaube nicht, dass ich sonst noch 10 Jahre nach Diagnose durchgehalten hätte. Denn das Hantieren an einer Maschine kann sehr gefährlich werden, wenn man Medikamente nimmt, die „Schlafattacken“ als Nebenwirkung haben – und das ist wörtlich zu nehmen. Eine „Attacke“ überkommt einen urplötzlich. Man rechnet nicht damit. Und es geht so schnell, dass man in einer Sekunde vom Wach- in den Schlafzustand fällt.
Stellen Sie sich vor, Sie steuern einen schweren Bagger auf einer Baustelle. Und dann passiert Ihnen so etwas – Sie schlafen ganz plötzlich ein. Und Sie rammen den Bagger in den Graben oder in eine Menschenmenge. Sie würden Ihres Lebens sicher nicht mehr froh.
Nein, im Büro hat man es da leichter. Natürlich ist es nicht angenehm, plötzlich in – sagen wir – einer Besprechung einzuschlafen. Aber so furchtbar viel passiert ja im Regelfall nicht. Manche Meetings sind langweilig, und Ihre Kollegen dösen auch nur – dann werden sie es vielleicht nicht einmal merken. Und wenn es doch jemandem auffällt, dann hält man Sie vielleicht sogar für einen Held – der am Vorabend so hart für das Unternehmenswohl geackert hat, dass er jetzt mal eine Pause braucht.
Vielleicht hat man im Büro sogar den Luxus des Einzelzimmers. Dann kann man die Tür zumachen, den Telefonhörer aushängen. Und wenn trotzdem einer den Büroschlaf entdeckt, dann hält man einen Vortrag über die Vorzüge des Power-Napping. Es ist also nur eine Frage der Argumentation.
Aber Spaß beiseite – natürlich verläuft so das typische Büroleben NICHT.
Irgendwann fällt den Leuten auf, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Bei mir war es die Vortragstätigkeit. Vor Tabletteneinnahme hielt ich mitreißende Vorträge. Nein, um ehrlich zu sein: ich weiß nicht, ob sie so fesselnd waren. Aber eines ist gewiß: ich sprach immer sehr schnell. Und mit sehr modulierender Stimme. Eines Tages hielt ich einen Vortrag, bei dem ich gerade versuchte, mich an meinen ersten Agonisten zu gewöhnen. Zwar schlief ich nicht ein, aber er bremste meine Redegeschwindigkeit so stark herab, dass mir ein guter Freund am Ende sagte, er hätte mich noch nie so abgeklärt sprechen hören. Das war sehr freundlich gesprochen. Eigentlich wollte er mir wohl sagen, Schlaftablette und Kaugummi wären im Gegensatz zu mir die Volldynamiker.
Alle diese Ausführungen beziehen sich auf die Zeit, als noch niemand wußte, dass ich Parkinson habe. Irgendwann aber kam natürlich das Outing. Mir brachte es eine erste unglaubliche Welle der Sympathie. Alle wollten wissen, was das ist, wie man sich fühlt etc. Nebenbei bemerkt entstand so die Idee für diese Website – bei auftretenden Fragen konnte ich alle an diesen Ort verweisen und dann im individuellen Gespräch ergänzen.
Auch die Kollegen spüren den objektiv vorhandenen Leistungsabfall und beherzigen außerdem, dass Parkinson-Kranke keinen Stress haben sollten. Um zu helfen, belasten sie den Erkrankten im Regelfall weniger. Recht schnell hat man also weniger Termine. Man wird seltener angerufen. Man wird nicht mehr so oft um Rat gefragt.
Auf diese Weise reduziert sich der „operative Stress“. Das ist gut. Aber es löst im Betroffenen eine andere Art von Unbehagen aus. Selbstzweifel beginnen. Werde ich noch gebraucht? Gilt mein Wort noch? Will man meinen Rat nicht mehr? Und all das mündet irgendwann in die Frage: KANN ich noch? Denn Eigen- und Fremdbild zeigen auftretende Defizite im Zeitablauf immer deutlicher auf.
Und dies wiederum führt zur Frage, was einem denn eigentlich fehlen würde, wenn man keine Arbeit mehr hätte.
Dies will ich im nächsten Folgeartikel etwas näher beleuchten: Ende der Arbeit – Bedeutung.